Platz 8Fußballbuch 2008

Der Kick des Lebens

Wie ich den Weg nach oben schaffte (2007/2008)
Platz 8  Fußballbuch des Jahres 2008 
FISCHER Taschenbuch
8,95 Euro
Buchcover Der Kick des Lebens - Wie ich den Weg nach oben schaffte von Steffi Jones

Rezension zu: Der Kick des Lebens

Birgit Schönau

“Wie ich den Weg nach oben schaffte” – das ist als Unterzeile für eine Fußballer-Biografie wirklich unsexy. Mehr noch: Sowas gehört sich eigentlich nicht. Fußball als Sprungbrett, nicht unbedingt nach oben, aber weg von ganz unten, das ist für die deutschen Profi-Männer schon lange kein Thema mehr. Und wenn es eines wäre, wird es in den Memoiren der Stars aus der Männerfußballwelt lieber schamhaft verschwiegen. Der deutsche Fußball ist, spätestens seitdem ihn die Feuilletons entdeckt haben, glücklich der Unterschicht entrissen. In der Mittelschicht angekommen, die Nationalmannschaft und ihre Trainer beweisen es. In Deutschland muss man heute nicht mehr Fußball spielen, um nach oben zu kommen. Genauso, wie man nicht mehr Priester werden muss, wenn zu Hause das Geld nicht langt. Fußball für sozialen Aufstieg, das passiert in Südamerika, Afrika oder vielleicht noch in Süditalien.

Oder in Frankfurt-Bonames. Stephanie Ann Jones, Jahrgang 1977, wächst dort als  klassisches No-Future Kind auf. Lichtjahre entfernt von der Generation Golf. Deutsche Mutter mit drei Kindern von drei verschiedenen US-Soldaten. Alle schwarz. Kindheit in einem Frankfurter – wie nennt man das? – Problemviertel, also. Keine behütete Kindheit, natürlich, die Väter hatten sich davongemacht, Mama musste also von früh bis spätabends arbeiten, da lernt man als Vierjährige schnell, allein in den Kindergarten zu finden. Und man lernt auch sonst eine ganze Menge, die Kinder in anderen Vierteln ihr Leben lang nicht erfahren werden.

Steffi Jones’ älterer Bruder rutscht in die Drogenszene ab, ihre Beschreibung seiner Heroinsucht ist genauso unsentimental und schnörkellos wie erschütternd. Der jüngere Bruder fährt als US-Soldat im Irak auf eine Mine und verliert beide Beine. Es sind große Tragödien im Leben einer Familie, die sich irgendwie so durchwurschtelt, die weniger mit dem Aufstieg als mit dem eigenen Überleben beschäftigt ist. Für Steffi Jones kommt spätestens in der Schule auch noch eine gute Portion Rassismus dazu (“Krollekopp”, “Negerlein”), sie mag das in ihrem von Broka Herrmann ohne literarische Ansprüche, aber authentisch, kitsch- und klischeefrei verfassten Buch nicht überbetonen.

Sie betont eigentlich überhaupt nichts über. Weder die Schicksalsschläge in der Familie, noch die dauernde Geldknappheit, noch das jugendliche Rowdytum, mit dem sich Steffi einer Diebesbande anschloss. Und so wird “Der Kick des Lebens” zu einem Zeitdokument über eine Kindheit in Frankfurt in den 80er Jahren. Und über den deutschen Frauenfußball. Steffi Jones spielt Straßenfußball mit anderen Frankfurter Straßenkindern, wird dann in eine Jungenmannschaft aufgenommen – und wehrt sich nach Kräften, als sie mit 13 in eine Mädchenmannschaft wechseln soll: “Dass andere Mädchen auch Fußball spielen könnten, auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen.” Es ist der Anfang zu einer großen Karriere, die ihr natürlich deutlich weniger Ruhm und vor allem deutlich weniger Geld als ihren männlichen Kollegen einbringen wird. Sie wird sechs Mal deutsche Meisterin, arbeitet aber nebenher im Supermarkt. Sie geht in die USA, spielt an der Seite von Mia Hamm für Washington Freedom, holt auch dort den Meistertitel, wohnt aber, weil das Geld nicht reicht, zur Untermiete. Mit der Nationalmannschaft wird sie Welt- und drei Mal Europameisterin, bis sie nach 111 Länderspielen im März 2007 ihren Rücktritt erklärt. Zurzeit ist Steffi Johns Präsidentin des Organisationskomitees bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011. Eine Vorzeigesportlerin. Eine mit Biographie.

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