Platz 7Fußballbuch 2013

Der Fluch der Wahrheit

Willmanns (Fußball)kolumne (2012/2013)
Platz 7  Fußballbuch des Jahres 2013 
Frank Willmann
Culturcon Medien
9,95 Euro
Buchcover Der Fluch der Wahrheit - Willmanns (Fußball)kolumne von Frank Willmann

Rezension: Der Fluch der Wahrheit

Stefan Erhardt

Frank Willmann ist ein Fleißiger. Woche um Woche, Jahr um Jahr schreibt er seine Fußballkolumne im Berliner TAGESSPIEGEL. In diesen Kolumnen vermisst er die intellektuellen Tiefen und analytischen Breiten (oder auch: die analytischen Tiefen und intellektuellen Breiten) dieses aus der menschlichen Existenz nicht mehr wegzudenkenden Spiels. Zu Recht wurde er dafür von Markus Hesselmann, dem Redaktionsleiter online besagter Zeitung, als „Fußballphilosoph“ apostrophiert, und sein hintergründiges Treiben lässt sich ablesen an Kolumnentiteln wie „Es gibt keinen richtigen Fußball im falschen“, oder: „Als wir noch unschuldig waren und die Welt gut war“.

Er kann und will es aber auch nicht lassen – keine Erkenntnis ohne Kritik – zu politisieren und zu polemisieren, seine Spitzen gegen diesen unseren Breitensport zu setzen wie seine Breitseiten gegen den Spitzensport zu feuern: gegen allzu verkrustetes Funktionärsgewese, gegen Liga-Lautsprecher und Medien-Schreihälse, gegen die Überwertung des kapitalwilden Westens und die Abwertung des fußballwilden Ostens. Denn er kennt nicht nur die Hochglanz-Stadien und Super-Mega-Arenen der BVBs und FCBs, sondern auch die Hartplätze und Grasnarben der Underdogs, nicht zuletzt selbst hautnah als Innenverteidiger der deutschen Autorennationalmannschaft.

„Der Fußballplatz als ein Refugium des Unmittelbaren“ versus „Der Terror köchelt in Zwickau“ – zwischen diesen Polen (nicht geografisch gemeint; obwohl …, s.u.) bewegt sich Willmann stil- und ortssicher; er ist genauso in der ersten Liga zuhause wie in der Oberliga Nordost-Nord, auf Berliner Plätzen wie auf dem Ernst-Abbe-Sportfeld in Jena. Und er schreibt nach dem Prinzip „frei Schnauze“ – etwas, das seine Texte für die Sprachliebhaber unter den Fußballfans auch noch lange nach ihrem Erscheinen wertvoll macht. „Das ist pure Poesie!“, darf ich dazu den Autor selbst mal völlig aus dem Zusammenhang gerissen zitieren.

Bisweilen hat man das Gefühl, es bricht nur so aus ihm heraus. Wenn er über „Dummbatze“ Berti Vogts lästert oder wenn er halb leidend, halb lamentierend ruft: „Auch 23 Jahre nach 1989 greint der Ostfußball in der Dreckecke.“ Oder aus den Stadien in Magdeburg, Dresden oder Jena pointierte Spielberichte liefert. Oder eine „Bombe der Fußballforschung“ platzen lässt (deren Sprengkraft sich aus der Tatsache rekrutiert, dass Willmann eine „Ballung Meyerscher Ex-Vereine“ in der 3. Liga entdeckt hat).

Allein schon die Kolumnenüberschriften sind eine Freud‘ – und lassen zuweilen eine gewisse florale Leidenschaft erahnen. Titel wie „Wo Sachsen noch auf Bäumen wachsen“, „Wo neben der Klabusterbeere die Hämorride blüht“ oder „Durstige Primeln auf dem Gipfel der Verzweiflung“ scheint Willmann leichten Herzens aus seiner Botanisiertrommel geholt und direkt dem Fußballrasen implantiert zu haben. Schweren Herzens hingegen greift er in die Tastatur, wenn trotz Sieges seines FCC ein Erfolg jener Retorten-Bolzer aus Leipzig ihn, den „Mann des Gleichmuts“, angesichts der aktuellen Tabelle eigentlich ein Klagelied anstimmen lassen sollte. Mit einer raffinierten Doppelfinte jedoch schafft er sich die Realität schön und verwandelt den Fluch der Wahrheit in einen Trost: „Da aber an sich keine Tabelle gut oder schlecht sein kann, sondern nur das, was man in sie hineinlegt, denke ich mir RB Leipzig zu RB Pjöngjang, schummle Zwickau nach Polen und stehe plötzlich auf Platz 1!“ Um, ganz der Politiker, die Quintessenz daraus zu ziehen: „Man muss die Wahrheit nur erkennen können.“ NB.: Er muss mit geradezu überschäumender Freude die Relegation zur 3. Liga verfolgt haben; ist damit doch einer seiner sehnlichsten Wünsche in Erfüllung gegangen, auch wenn mich seine bereits Ende November letzten Jahres geäußerte Vorhersage sozialethisch etwas besorgt zurücklässt: „Die Welt wird wieder freundlich sein und wir werden uns dem Wohlleben in seinen verschiedenen Formen verschreiben.“

Wer bis jetzt auf das Wort ‚Ironie‘ in diesem Lobestext gewartet hat, hat gut aufgepasst und mitgedacht. Wer nicht, dem brauche ich es an dieser Stelle jetzt auch nicht mehr erklären. Vielmehr kann ich auf die mögliche Frage, was Willmann denn so mundwillig komisch macht, antworten mit dem Titel von Willmanns Einlassungen zum „Fußballspruch des Jahres“ 2012 (wer erinnert sich? ein gewisser Scholl und seine Wundliege-Wende-Theorie): „Worte, wo man nicht erklären kann“.

Wobei ich, ehrlich gestanden, noch mehr Freude habe an seinen unerwarteten Weiterungen, die der Fußball auch nicht nur bietet, sondern mitunter nahelegt, wenn nicht gar aufdrängt. Beispiel gefällig? Was er, wie vorhin zitiert, meint mit „Refugium des Unmittelbaren“: "Wo wir andernorts unsere Worte möglichst glatt wählen, um vor devoter Arschkriecherei oder aus angesagten Gründen politischer Korrektheit ja nicht aufs Glatteis zu geraten, leuchtet der Fußball in seiner ganzen geschlechtslosen Reinheit wie Mutter Teresa. Und ich meine nicht Mutter Teresa Orlowski. Die nach einem besonders anstrengenden Arbeitstag einmal geäußert haben soll: ‚Jeder Mann ist so gut, wie ihn seine Frau macht‘. Mutter Teresa Orlowski stammt aus Polen, deutsch ist nicht ihre Muttersprache. Die Vermutung liegt nahe, sie hat etwas ganz anderes ausschwatzen wollen. Die Antwort, mein Freund, die bläst dir (frei nach Bob Dylan) der Wind."

Da ist er wieder, der Fluch der Wahrheit, zumindest the truth according to Willmann. Die muss man sich aneignen, durchdenken, verdauen, und schon hat man wieder ein Stück mehr begriffen vom Fußball. Auch wenn der mitunter von diversen gerissenen Bändern Geplagte nicht über alles und jedes und jeden zu jeder Zeit sprechen will – die Kunst seines genauen Beobachtens liegt auch im großzügigen Weglassen. Was zudem mit einem gewissen Feingefühl korrespondiert, einem tief empfundenen, da selbst wieder und wieder durchlitten gegenüber den Fans, deren er selbst ja auch einer ist, also letztlich gegen sich selbst, wie er mit „Fußball – du Wellental!“ in höchst existenzialistischem Ennui mit schmerzverzerrtem Gesicht (s. Bänderrisse) beklagt: "Manch gebeutelter Fußballfan muss immer wieder in den Trauerkloß beißen. Sei es das Wetter oder die hohen Eintrittspreise. Es kann auch an der Wurst liegen, die neben dem bitterbösen Schiedsrichtervolk Ursache zum schmerzerfüllten Weltentsagen ist. Wurst ist nicht gleich Wurst! Lasst euch das gesagt sein! Über das Stadionbier möchte ich heute gar nicht anfangen zu philosophieren."

Ich auch nicht. Schon weil ich es gar nicht so gut könnte, und mein Lobesgebräu zuletzt gar noch etwas schal würde. Enden will ich lieber mit Willmanns Wort zum Fußballsonntag, das in seiner schlichten Wahrheit einen bisweilen im Leben woraufauchimmer lastenden Fluch zu einem Dalai-lamaischen Segen verwandeln hilft: "Manche Dinge im Leben sind schlecht. Sie können uns wirklich wahnsinnig machen. Wenn der Knorpel des Lebens uns dengelt, bleibt cool. Haltet besser Ausschau nach einer Trillerpfeife, einem Fußball, zwei Toren. Diese paar Sachen reichen, um uns glücklich zu machen."

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