Platz 6Fußballbuch 2006

Auch ich war einst Pele

Prominente und ihr Traum vom Fußball (2005/2006)
Platz 6  Fußballbuch des Jahres 2006 

8,00 Euro
Buchcover Auch ich war einst Pele - Prominente und ihr Traum vom Fußball von Torsten Körner

Rezension zu: Auch ich war einst Pele

Birgit Schönau

Wenn das Spiel abgepfiffen ist, bleibt die Erinnerung – und die verknüpft sich nicht nur mit dem Geschehen auf dem Rasen. Ein Fußballmatch kann eine Bahnfahrt von Königswinter nach Neuwied bedeuten, wie der 4. Juli 1954 für Norbert Blüm. Deutschland wurde Weltmeister, „und eine alte Frau, die zuvor in einer Ecke des Abteils apathisch ihre Strümpfe gestrickt hatte, umarmte mich.“ Ein Spiel kann eine kleine Kulturrevolution herbeiführen, wie das Halbfinale in Mexiko 1986 für Manuel Andrack, der für sich in Anspruch nimmt, damals in Köln den deutschen Autocorso erfunden zu haben: „Da standen gerade mal zehn Autos auf der Kyffhäuser Straße und versperrten die. Das wurde der Polizei unheimlich. Ein junger Polizist verlor die Nerven und drückte den Notknopf. Da kamen alle Kölner Polizeiwagen angefahren, nach dem Motto: Unser Kollege ist bedroht.“ Ein Spiel kann auch hohe, unfreiwillig komische Politik bedeuten, wie für den Musiker Frank Schöbel die Teilnahme der DDR-Nationalmannschaft bei der WM 1974. Schöbel war aufgefordert, dazu ein Fußballlied zu schreiben, „und der Refrain geht so: Ja, der Fußball ist rund wie die Welt, überall rollt der Ball, und wenn einer zum andern hält, trifft der Ball, klarer Fall.” Das gefiel dem SED-Zentralkomittee  aber nicht, deshalb musste Schöbel singen: „Freunde gibt es überall auf der Welt, Menschen, die sich gut verstehn und mit dir Tag für Tag eine Straße gehn.” Grotesk, aber wahr. Fußballwahr.

Fußball ist Projektion. Jede Generation hat ihre Helden, ihre Mythen und Legenden. Fußball ist für alle auch mit Kindheit verknüpft, mit Freiheit, Wildheit und ganz viel Zeit. Fußball ist der Bildungsroman des 20. Jahrhunderts und könnte auch der des 21. werden. Fußball ist für alle, die nicht für Geld laufende Fußballer sind, vor allem im Kopf. Eben das Spiel des Lebens.

Dazu liefert Torsten Körner mit „Auch ich war einst Pelé” ein wunderbares Mosaik. Das einzige, was an seinem kleinen, bunten, alltagspoetischen und lebensphilosophischen Buch nicht stimmt, ist der Untertitel: „Prominente und ihr Traum vom Fußball.” Der mag vielleicht die Auflage steigern, aber er trifft daneben. Körner hat einfach mehr oder weniger bekannte Zeitgenossen dazu interviewt, wie der Fußball in ihr Leben kam und darin blieb. Und er hat kluge Fragen gestellt, denn den meisten seiner Fußball-Zeitzeugen fiel eine Menge ein.

Fritz Pleitgen erzählt, wie er als 14-Jähriger in der Lokalsport-Redaktion im ostwestfälischen Bünde anfing und bald als Fußballer zum Gegenstand seiner eigenen Berichterstattung wurde: „Dass ich hin und wieder ein Tor schoss, vermerkte ich lakonisch.” Marcel Reif erinnert an die Idole seiner Jugend – den polnischen Nationaltorhüter Edward Szymkowiak (“er war mein Held, mein Traum, mein Ritter, mein Ach-was-weiß-ich”) und Jacobus Thäodorus Prins, genannt Co Prins von Kaiserlautern: „Er hatte alles, was mir im Leben Spaß machte.”

Hannover 96-Präsident Götz von Fromberg erzählt, wie er als Junge Tore aus Weihnachtsbäumen bastelte und später mit Gerd Schröder Fußball spielte: „Ich dachte, ein großes Licht kann der auf dem Platz nicht sein, weil der sich schon so nachlässig warm machte. Im Spiel aber explodierte er plötzlich.”

Olli Dittrich berichtet von seiner größten Niederlage, wie er bei Schnee und Eis auf Uwe Seeler wartend, gemeinsam mit seinem Kugelschreiber festfriert, so dass der von ihm Verehrte ihm kein Autogramm schreiben konnte. „Man sieht noch die tiefen Furchen, man sieht, dass Uwe Seeler dreimal versucht hat, seinen Namen genau übereinander zu schreiben. Uwe gab mir dann  den Stift zurück und sagte so im Weggehen: ‘Kauf’ dir mal ‘nen neuen Stift, Junge!”

Matthias Brandt erinnert, dass er mit den Leibwächtern seines Vaters kickte und dass nach Willy Brandts Rücktritt seine größte Sorge war, das WM-Finale 1974 nicht mehr live sehen zu dürfen. Aber erkennt auch die Gleichmacher-Funktion des Fußballs: „Plötzlich ging es nicht mehr um deine Herkunft, sondern schlicht und ergreifend um dein Können.” Die Magie, die Vitalität, die große Kraft eines Spiels, das nicht nur Sport ist und nie nur käuflicher Event sein wird – sie schimmern durch die Geschichten in diesem Buch. Die so verschieden sind, wie die Menschen, die sie erzählen. Aber ohne Fußball nicht möglich wären.

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